Thesen zur kirchlichen Erwachsenenbildung in der Diözese Passau
Ausgangssituation
Katholische Erwachsenenbildung findet ihre Position
inmitten einer großen Vielfalt von Strömungen, die das Leben der Menschen in Gesellschaft und Kirche beeinflussen. Der Pluralismus von Weltanschauungen, religiösen Praktiken, politischen und kulturellen Erscheinungsformen, Lebensstilen und individuellen Verhaltensweisen ist die gegebene Erscheinungsform einer pluralen demokratischen Gesellschaft. Im Gegensatz zu einem generellen Kulturpessimismus beurteilen wir diesen Pluralismus als eine Konsequenz der Freiheit. Wir bejahen ihn als die Möglichkeit, den Orientierung suchenden Menschen unserer Zeit in einladender und argumentativer Weise auf der Grundlage eines christlichen Menschenbildes ein wertbestimmtes Angebot für die eigenverantwortliche Entscheidung in den verschiedenen Lebensbereichen zu vermitteln.
Katholische Erwachsenenbildung sieht in diesem Prozess ihre Aufgabe darin, offene Räume für Begegnungen zu schaffen, den Dialog zu ermöglichen und Brücken zu schlagen, über die Gegensätzliches zur Begegnung kommt und sich austauscht, Fremdheit abgebaut und verborgene Angst- und Gewaltpotenziale reduziert werden können. Sie ist gleichzeitig darum bemüht, nicht ´einfachen´ Lösungen das Wort zu reden, wie dies der Fundamentalismus in seinen verschiedenen Erscheinungsformen tut, sondern zu einem fairen Wettstreit der Meinungen einzuladen, in dem die besseren Argumente und bewährten Erfahrungen überzeugen und freie Zustimmung ermöglichen sollen.
Katholische Erwachsenenbildung bejaht die als Kulturgut hochgeschätzte Freiheit und Selbstbestimmung des Menschen, weiß aber auch, dass Freiheit ein gefährdetes Gut ist, das durch einen ausufernden Individualismus in ihr Gegenteil verkehrt werden kann. Freiheit der Person ist angewiesen auf ein ausbalanciertes Verhältnis zur sozialen Dimension des Menschen, die Freiheit nur als verantwortete Freiheit gelingen lässt.
In einer Welt des raschen Wandels wird die Aufgabe der Identitätsfindung des Menschen als besonders dringend erkannt. Immer komplexer werdende Lebensverhältnisse verstärken die Sehnsucht nach Sicherheit, Kontinuität und Heimat (Glaube und Moral), die als Stützpunkte und entschleunigende Strukturen des Lebens wieder neu entdeckt werden.
Eine katholische Erwachsenenbildung mit offenen Horizonten wirkt auch der Tendenz des Rückzugs ins Private und der wachsenden Anonymität und Isolierung in unserer Gesellschaft entgegen.
Die Flut von Informationen, von der unsere Mediengesellschaft geprägt ist, verstärkt das Bedürfnis nach der Unterscheidungsfähigkeit zwischen Informationen, die für den Einzelnen wichtig sind, und solchen, die er bewusst ausschaltet. Die Flüchtigkeit und Folgenlosigkeit massenmedialer Kommunikation eröffnet der Erwachsenenbildung die Chance, in dem Prozess des gemeinsamen das Leben begleitenden Lernens, das von Begegnung und Gespräch geprägt ist, ein qualitatives Plus von Information und Erfahrungsaustausch zu vermitteln.
Aus der Definition unserer Gesellschaft als Erlebnisgesellschaft resultieren neue Anfragen in Bezug auf die Inhalte und Methoden der Erwachsenenbildung.
Die Globalisierung der Lebensverhältnisse lässt kirchliche Erwachsenenbildung neue Problemfelder in den Blick nehmen. Mit den Stichworten Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung sind Themen benannt, die nicht mehr lokal oder national begrenzt werden können, sondern global gesehen und zu einer umfassenden Solidarität führen müssen. Ebenso werden die Stellung der Frau in Gesellschaft und Kirche, der Schutz der Familie, die Frage des Lebensschutzes am Beginn und Ende des Lebens auf der programmatischen Tagesordnung stehen.
Katholische Erwachsenenbildung versteht sich nicht als Einrichtung religiöser Indoktrination, sondern will werbend, einladend, argumentativ „Rechenschaft ablegen von der Hoffnung, die uns als Glaubende beseelt“, und so das Angebot der christlichen Wahrheit in unsere Kultur und Gesellschaft einbringen.